21.11.2015

Handwerk übernimmt Verantwortung

Düsseldorf,  2. November.  Ein kleiner Schritt für die Gründer, ein großer Schritt für das Prinzip Nachhaltigkeit im Handwerk: Am 2. November haben zehn HandwerkerInnen in Düsseldorf den Verein Handwerk in Verantwortung gegründet.  Der Verein bringt  HandwerkerInnen zusammen, denen es mit ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung und dem Prinzip Handwerk in einem umfassenden Sinne ernst ist. Der Verein verfolgt anspruchsvolle  Ziele, die die gesamte Wertschöpfung der Produkte ebenso umfassend betreffen wie den Umgang mit Kunden und den Erhalt der Handwerkskultur.

In den Leitprinzipien des Vereins sind unter anderem folgende Ziele formuliert:

Handwerk mit Verantwortung bekennt sich zum Leitprinzip nachhaltiger Entwicklung und bietet Kunden Hilfe und Orientierung auf dem Weg zu nachhaltigen Waren und Dienstleistungen.  Konkret wollen die Unternehmen, die sich unter diesem Siegel versammeln,  keinen Beitrag zur Umweltzerstörung und zu Menschenrechtsverletzungen leisten, indem sie beim Bezug von Rohstoffen und Rohprodukten darauf achten, dass ihre Gewinnung möglichst wenig Auswirkungen auf Umwelt und Natur aufweisen, keine unnötigen Transportwege verursachen, Umweltverschmutzung und Abfälle vermeiden und Upcyling und Recycling vermeiden.

Es geht den HandwerkerInnen auch um die Achtung und Förderung von Mitmenschen. Sie wollen keine  Produkte aus sozial fragwürdiger Herstellung verwenden oder verkaufen. Die Betriebe verpflichten sich zur Aufklärung über alle Produkteigenschaften und über die Lieferkette und die Herkunft aller Werkstoffe / Inhaltsstoffe.

Die Mitglieder verpflichten sich zur Weitergabe von Wissen und Können und folglich zur Ausbildung  und zu einem wertschätzenden und respektvollen Umgang mit MitarbeiterInnen, Kolleginnen und Kollegen und  Kunden und zu einem fairen Wettbewerb.

Die Kunden sollen ehrliche und umfassende Information über Vor- und Nachteile von Produkten und Lösungen erhalten, damit sie die Kompetenz haben,  die für sie beste Entscheidung treffen zu können. Die Leitprinzipien sehen ein Verbot von Diskriminierung vor, eine Vertrauenskultur, Transparenz und Offenheit im Umgang miteinander und im Umgang mit den Kunden.

Die Mitglieder verpflichten sich bei der Arbeit zu Sorgfalt und handwerklicher  Qualität, bei der der Mensch und sein Wissen und Können sowie die Handarbeit im Mittelpunkt stehen, und sie bekennen sich zur  Langlebigkeit der Produkte oder der Lösungen, die sie herstellen.

Produktion im heimischen Betrieb: Kernprodukte und Dienstleistungen werden so weit möglich durch die Mitglieder selbst entwickelt, hergestellt, ver-, um- und bearbeitet sowie bereitgestellt – unter Einhaltung von hohen ökologischen, tariflichen und sozialen Standards und einem möglichst regionalen Bezug von Rohstoffen und Rohprodukten. Können sie nicht vom Mitgliedsbetrieb selbst bereitgestellt werden, wird die Kooperation mit regionalen Partnern gesucht, die nach den gleichen Prinzipien arbeiten.

Der Stein des Anstoßes für diese Vereinsgründung, in die bereits sehr viel Zeit und Engagement hineingeflossen ist, war für den Initiator Timothy C. Vincent die Beobachtung, dass immer mehr Steinmetze seriell gefertigte Steine aus aller Welt verkaufen, die immer weniger mit Handwerk zu tun haben, aber oft  unter sozial und ökologisch problematischen Bedingungen hergestellt, bearbeitet und transportiert wurden.

Timothy Vincent: „Es geht um viel: Wenn Steinmetze nur noch Importsteine verkaufen und selbst nicht mehr handwerklich arbeiten, dann können sie auch nicht mehr gut ausbilden. Wenn wir nicht mehr gut ausbilden können, verliert unser Handwerk seine Identität und sein Können. Das ist auch schlecht für uns alle. Wir müssen das Prinzip Handwerk und die Regionalität stärken. Regionalität bedeutet, dass wir uns im Raum wiedererkennen, auch wenn es um Produkte und Werkstoffe geht. Die sollen unserer Ansicht nach möglichst auch aus der Region stammen. Wenn HandwerkerInnen Industrieprodukte verkaufen, die nichts mehr mit Handwerk zu tun haben, dann fördern sie das Konsumdiktat, die Wegwerfmentalität und eine Ort- und Zeitlosigkeit, die die Beliebigkeit fördert und  alles entwertet.

Wir glauben, dass es die Stärke des Handwerks ist, handwerklich zu arbeiten, sich persönlich mit den Kunden auseinanderzusetzen und auf sie einzugehen und sie mit guten Informationen dazu zu  befähigen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das gilt auch für die Bäcker, die Tischler und die vielen anderen Handwerkszweige.“

Unterstützung erhält der Verein von Reiner Nolten, Hauptgeschäftsführer des  Westdeutschen Handwerkskammertages. Sein Argument: „Handwerk ist  von seiner Historie her per se nachhaltig. Da aber nicht mehr alle Betriebe den grünen Prinzipien genügen, finde ich es gut, wenn Betriebe herausgehoben werden, die sich besonders nachhaltig verhalten. Ich unterstütze daher diesen Ansatz persönlich und auch als Beirat.“

Gründungsvorstand (v.l.n.r): Andreas Schomaker (Biobäckerei Schomakers), Timothy C. Vincent (Steinbildhauerei Vincent) und Uwe Hassdenteufel (Hassdenteufel & Kasakow).

Kommentar Christine Ax

Handwerk kann Nachhaltigkeit

Die strukturelle Nachhaltigkeit des Handwerks stand für mich schon immer außer Frage. Als Nahversorger, als Träger wichtiger kultureller und technischer Kompetenzen, als Ausbilder und Arbeitgeber. Handwerksbetriebe sind mit ihren vielen sozial engagierten UnternehmerInnen und Menschen das Rückgrat der lokalen Ökonomien. Was aber nicht bedeutet, dass sie tatsächlich immer nachhaltig agieren. Dies hat viele Gründe: Die Industrie hat das Handwerk in vielen Bereichen zu ihrem Handlanger gemacht und ist in traditionelle Handwerksmärkte eingebrochen. Es gibt ohne Zweifel einen Trend zur Industrialisierung des Handwerks, die vom Handwerk selbst vorangetrieben wird. Besonders ärgerlich ist es, wenn das Handwerk anfängt „den Mythos Handwerk“ auszuschlachten, um dann Industriequalität zu überhöhten Preisen an den Mann und die Frau zu bringen. Dies ist in einigen Gewerken inzwischen tatsächlich der Fall. Der Steinmetzberuf ist ein Beispiel dafür, aber auch im Nahrungsmittelhandwerk ist dies zu beobachten. Und natürlich stimmt auch: Die Kunden sind nicht immer bereit, den Preis für gutes Handwerk zu zahlen, und sie haben nicht das Wissen und die Erfahrung, um gute Arbeit, und gute Produkte von schlechter Arbeit unterscheiden zu können.

Der Verein Handwerk in Verantwortung geht mit seinem Anspruch über gängige CSR-Kriterien hinaus und ist eine adäquate Antwort auf die Chancen, die Handwerk für eine Nachhaltige Entwicklung und Nachhaltige Entwicklung für Handwerk hat.

Seit Jahren schon ist vor allem in den Städten zu beobachten, dass ein neues Handwerk eine Renaissance erlebt. Dass eine „Cinderella“ Ökonomie Platz greift und die Innenstädte mit ihrer Vielfalt belebt. Es sind interessanterweise Quereinsteiger, die das Handwerk neu erfinden, aus Lust am Selbermachen, aus Freude an der hohen Qualität und Vielfalt, die auch kleine Werkstätten verlassen. Ob es um Craft-Beer-Bewegung geht, um die vielen neuen Konditoreien oder Schokoladenmanufakturen, um Keramik oder Porzellan, Möbel oder um Repaircafés oder Näh-Cafés oder um die wachsende Zahl von Textil-Manufakturen. Mit Liebe gemacht, Made in Germany oder Austria, das Prinzip Regionalität ist ein sehr erfolgreicher Trend.

Und natürlich gab es in der Vergangenheit schon immer auch HandwerkerInnen, die die Bedeutung der Nachhaltigkeit verstanden haben oder die Nachhaltigkeit einfach lebten und ihren eigenen Weg gegangen sind. Durchaus auch sehr erfolgreich. Aber eine echte Bewegung ist im Handwerk bisher nicht entstanden. Der Mainstream im deutschen Handwerk ist leider noch nicht aufgewacht. Sie nehmen gerne die wachsenden Umsätze mit, die sich für sie aus (durchaus zweifelhaften) Wärmedämmprogrammen oder ökologischen Modernisierungen ergeben, aber noch immer ist es viel zu vielen einfach egal, womit sie ihr Geld verdienen. Hauptsache der Rubel rollt. Das ist schade, denn wie anfangs bereits gesagt: Handwerk kann Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeit braucht Handwerk. So gesehen, kann man diesem neuen Verein und seinen engagierten Mitgliedern nur sehr viel Erfolg wünschen. Möge die Übung gelingen!